über Scoring, Tracking, Profiling und Big Data

IMG_20150610_103513völlig subjektive und total verkürzte Eindrücke von der ver.di-Digitalisierungskonferenz in Berlin

IMG_20150610_140554Frank Bsirkse stellt in seinem Eingangsstatement fest, dass Software zunehmend Entscheidungen im Arbeits- und Alltagsleben strukturiert, prognostiziert und schlussendlich auch trifft. Das soll die Unternehmensleitung unterstützen – und in späterer Folge auch ersetzen, wie den Busfahrer?

Für mich ist die Vorstellung, einen Tarifvertrag mit einem Computeralgorithmus zu verhandeln wenig verlockend.

An das Rednerpult trat nach der deutschen Bundesministerin für Arbeit, Andrea Nahlens, auch Günther Öttinger, EU-Kommissar für digitale Wirtschaft und Gesellschaft. Nahlens sah die zukünftigen Problemlagen vor allem bei gering Qualifizierten, die in der digitalisierten Arbeitswelt nicht mehr Schritt halten könnten. Für eine Qualifizierungsoffensive macht sich auch Öttinger im Namen der EU-Kommission stark; sie ist eine wesentliche Säule der EU-Strategie „Digitale Agenda“.

Auf einem spannend besetzten Podium mit Vertreterinnen von Kunst, Wissenschaft und Politik beschäftigte man sich mit neuen Technologien in der Arbeitswelt. Frank Bsirkse und Annette Mühlberg hörten aufmerksam zu (siehe Bild).

IMG_20150610_162828Ich bin da echt kritisch bei dem Hype mit der Weiterbildung. Es gibt kein „Update 4.0“ für Beschäftigte. Welche Weiterbildung soll das denn sein? (Kristoffer Gansing, Transmediale)

Es braucht extremst partizipative Gestaltung der technischen Systeme durch die Beschäftigten. Die Fähigkeit mit dem Wandel umzugehen, ist bei den Beschäftigten vorhanden. Die können das. Die machen das ja ständig. Was fehlt, ist die Fähigkeit der Unternehmen, echte Partizipation zuzulassen. (Sabine Pfeiffer von der Uni Hohenheim)

Es herrscht eine „Totalisierung des Zählbaren“. Taxiunternehmen ohne Taxis, Hotelketten ohne Hotelbetten, etcetera brechen in die Branche ein und erzielen unglaubliche Marktwerte. (Lothar Schröder, ver.di-Bundesvorstand)

Rund um das Thema Scoring diskutierten am nächsten Vormittag eine hochkarätige Expertenrunde auf dem Podium. Die automatisierte Reihung und Beurteilung von Personen nimmt in den verschiedensten Lebensbereichen immer mehr zu. Egal ob bei Mieten, Flugbuchungen, Internetshopping oder bei der Kfz-Versicherung; die Anwendungsgebiete scheinen unbegrenzt.

Scoring für Werbung ist lästig, aber erträglich. Schluss ist, wenn Wahlmöglichkeiten beschnitten werden oder im schlimmeren Fall nur mehr zu teureren Konditionen zur Verfügung stehen oder im schlimmsten Fall gar nicht mehr!

benennt Klaus Müller, Vorsitzender der Verbraucherzentrale die Problematik.

Der Politikwissenschaftler Ben Wagner von der Forschungsstelle Internet und Menschenrechte an der Europa-Universität Frankfurt/Oder beobachtet:

Die Teilhabe wird für arme Menschen immer schwieriger, weil sie sich erst nackig machen müssen, bevor sie eine Leistung bekommen. Wer sich zum Beispiel in den USA von seiner Krankenversicherung tracken lässt, zahlt weniger ein.

Thilo Weichert, der Leiter der Datenschutzbehörde Schleswig-Holstein, schließlich bringt die Individualisierung auf den Punkt:

Es werden immer weniger gesellschaftliche Risiken versichert, sondern ein individueller Vertrag zwischen einem privaten Anbieter und einer Privatperson abgeschlossen. Da steuert dann ein privates Unternehmen das Verhalten von Individuen und sagt, was gut und was schlecht für sie ist. Das führt zur Selbstzensur. Da geht der kollektive Schutz verloren!

Ein anderes Podium erkundete die gewerkschaftlichen Bemühungen auf europäischer Ebene für mehr Mitbestimmung, Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung in Zeiten der Digitalisierung.

Danke an Tanja Buzek von ver.di für das Photo

Im Bereich der öffentlichen Dienstleistungen versucht die EU-Kommission immer mehr zu liberalisieren. Das kann man seit Jahren gut beobachten. (Jan Willem Goudriaan, Generalsekretär Europäischer Gewerkschaftsverband)

Seitens der EU-Kommission wird nur mehr auf den Wettbewerb und die Marktliberalisierung geschaut – die Arbeitsbedingungen, die die Digitalisierung auslöst, gehen da unter. (Oliver Röthig, UNI Europa)

Es kann nicht sein, dass die persönliche Einwilligung zu Datenverwendungen aller Art die Verwendung legitimiert.  Im Arbeitsverhältnis wird man selten wirklich freiwillig zustimmen. Das führt die Grundrechte ad absurdum. (Clara Fritsch, GPA-djp)

Also sind wir uns doch ehrlich, die Lobbyschlacht um die Datenschutzgrundverordnung haben die Unternehmenslobbyisten schon gewonnen. (Constanze Kurz, Chaos Computer Club)

Hier noch ein paar wenige der vielen Forderungen, die Frank Bsirkse am Ende der zwei Tage zusammenfasste:

„Wo wir gemeinsam weiter daran arbeiten müssen“

passendes Wandbild im Workshop-Raum

  • Ein Verbot von Gesundheitstracking im Arbeitsverhältnis und eine Festlegung, was öffentlichen Krankenkassen beim Gesundheitstracking erlaubt sein soll und was nicht
  • Ein Recht auf Nicht-Erreichbarkeit in der Arbeitszeit
  • soziale Absicherung von Crowdworkern
  • Digitalisierungsdividende, zB indem die durch die neuen Technologien frei gewordene Arbeitszeit an die Arbeitnehmerinnen weitergegeben wird
  • Vorrang für Anonymität  – vor allem bei der Nutzung von öffentlichen Diensten im Netz
  • europaweite offene standardisierte Schnittstellen  – insbesondere für öffentliche Dienstleistungen

Und es gibt sogar ein Gesetz, das in Österreich schon gilt und ver.di – noch erfolglos – fordert: Die Bildungskarenz, damit Arbeitnehmerinnen sich bei aufrechtem Arbeitsverhältnis auf die Erfordernisse der digitalisierten Arbeitswelt einstellen können.

 

 

 

 

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