Evgeny Morozov über private Start-Ups, Apps und die Ebenen dahinter
Evgeny Morozov bei der Fachtagung der Arbeiterkammer Wien „Wien wächst“ am 24.9.2019
„Für jedes Problem gibt es eine App, die dir bei der Lösung hilft“ – mit dem Mythos räumt der Wissenschafter, Publizist und Kenner der digitalen Welt gründlich auf. Daten und ihre Verarbeitung sind nicht per se geeignet für alles und jedes eine Lösung zu finden. Wenn einE App-NutzerIn auf dem schnellsten Weg von a nach b gelangen möchte, können die Daten vieler Verkehrsteilnehmer*innen und deren Verknüpfung eine gute Antwort liefern. Vielleicht weiß die App auch, wo es in der Stadt schneller per Fahrrad geht und wann die Straßenbahn völlig überfüllt ist. Was eine App allerdings nicht lösen können wird, sind soziale Probleme wie Arbeitslosigkeit oder Wohnungslosigkeit (auch wenn noch so viele Daten dazu bekannt sind; Anm. der Autorin).
Evgeny Morozow nimmt an, dass er derzeit vorherrschende Glaube, mit ausreichend Datenmaterial und ausreichend ausgefeilter Programmierung in unzähligen Apps sämtliche Bedürfnisse ausreichend befriedigen zu können (gerne wird das Wort „Lösung“ hier verwendet; Anm. der Autorin), demnächst platzen wird – ähnlich der Immobilien-Blase, die sich 2007 in der USA in Luft aufgelöst hat. Eine technische “Lösung” kann eine politische niemals ersetzen.
Für wen werden Apps entwickelt?
Der Nutzen der Apps ist ungleich verteilt. Als Beispiel nennt Evgeny Morozov ArbeitnehmerInnen in der Tech-Industry (aka silicon Valley; Anm. der Autorin). Für diese Gruppe werden immer mehr und ausgefeilter Apps entwickelt und angeboten werden, um ihr Arbeitsleben zu erleichtern. Eine App für den Wäschewasch-Service, eine zum Essen liefern, eine für den Staubsauger-Roboter und eine für das Transportmittel zwischen Arbeitsort und Wohnort (falls da noch eine zurückzulegende Wegstrecke bestehen sollte und die beiden Orte nicht ohnehin schon ineinander übergegangen sind; Anm. der Autorin).
Nicht nur Einzelne Konsument*innen sondern auch Städten und Gemeinden werden technische „Lösungsangebote“ gemacht. Die App bietet dabei meist sehr kostengünstige Services an. Diejenigen, die rund um diese Dienstleistungsangebote arbeiten (also die die E-Roller wieder einsammeln, die uber-Fahrer*innen und die Essenslieferant*innen; Anm. der Autorin) haben allerdings wenig von den günstigen Kosten und sind auch nicht unbedingt die Zielgruppe des Angebots. Ihnen wird der Arbeitsalltag dadurch weniger erleichtert.
Das billige Angebot funktioniert nur unter bestimmten Bedingungen, wie Eveny Morozov darstellt
1.: big scale
Erst wenn eine große Menge an Nutzer*innen das Produkt verwendet, können tatsächlich Synergieeffekte erzielt werden (wenn zB die gesharten Autos/ E-Roller im Stadtgebiet nicht bewegt werden, verstellen sie nur den öffentlichen (Park-)raum. Wenn in einen Chatforum niemand chattet, will niemand dabei sein Anm. der Autorin).
2.: „Nebenkosten“ zahlt die Öffentlichkeit
Die billigen Angebote gehen oft auf Kosten der Kommunen in denen sie angeboten werden. Einerseits funktionieren zB Car-Sharing-Angebote nur da wirklich gut, wo es auch ein dichtes öffentliches Verkehrsnetz gibt. In der EInfamilienhaus-Siedlung am Stadtrand sind die Anbieter eher im finanziellen Minus.
Andererseits werden die indirekten Kosten, die die Dienstleistungen verursachen, auf die Öffentlichkeit abgewälzt. Klassische Beispiele sind, dass die App-Entwickler die Beschäftigten als Selbständige deklarieren und somit keine Abgaben zahlen. Zusätzlich zahlen sie auch nichts für die Errichtung von Busstationen, die sie aber in manchen Gemeinden ebenso mitnutzen oder für die Reparatur der Straßen. (Auch Kosten für ökologische Maßnahmen gegen die vom Zusteller-Verkehr auf der „letzten Meile” verursachte Luftverschmutzung müssen bei der Kostendeckung nicht eingerechnet werden; Anm. der Autorin)
3.: Kosten zahlen die Plattform-Arbeitenden
Ein beträchtlicher Teil der Kosten, die eine Dienstleitung mit Angestelltenverhältnis kosten würde, wird von den App-Anbietern auf die App-Arbeitenden, (schein-)Selbständigen übertragen, wie Reparaturkosten für Arbeitsmittel oder Dienstentfall bei Krankheit und Urlaub.
4.: sehr reiche Investoren geben dafür sehr viel Geld her
Und das tun sie so lange bis der turn-over erreicht ist und keine andere Organisation – sei es öffentlich oder privat – mehr mit konkurrieren kann am „freien Markt“. Im Fall von uber kommt diese Investition von saudi-arabischer Seite. „One big spender funds a little start up till they reach the top – or hit the road“ meint Evgeny Morozov.
digitale Innovationen basieren mitunter auf saudischen Millionen
Darin liegt ein Risiko. Sowohl Privatnutzer*innen als auch Kommunen können sich nicht sicher sein, dass die Apps zukünftig von Dauer sein werden. Es gibt keine Garantie, dass das Angebot so bleibt wie es ist. Wechselnde AGBs, einseitig abgeänderte Datenschutzbestimmungen, und ähnliche Ereignisse sind eindeutige Zeugnisse dafür, wie die Monopolisten die Geschäftsbedingungen diktieren.
Beispiele zeigen wie die öffentliche Hand sich von privaten Anbietern abhängig gemacht hat beziehungsweise wie schwer es ist, den BigPlayern (Google, Apple, Facebook, Amazon = GAFA ) etwas entgegen zu halten. So wurde in Großbritannien der öffentliche Gesundheitsdienst massiv gedrängt, bestimmte fitness-analysetools zu verwenden. Apps und Semsorik kam auf den Markt, um den Gesundheitszustand von Patient*innen zu überwachen. Mittlerweile werden auch gesunde Menschen getrackt, (offiziell wohl als präventives Angebot), weil ohne ausreichendes Datenmaterial das Analysetool nicht funktioniert.
In Frankreich hat sich gezeigt, dass Preise eine schwerwiegende „Argumentations-Keule“ für Amazon sind. Nach Einführung der Digitalsteuer in Frankreich hat Amazon umgehend die Preise für Lieferant*innen erhöht. Anfang September kam es deshalb zu einer vier Millionen Euro teuren Verurteilung Amazons. Abermals wurden die Vetragsbedingungen für die Kund*innen angehoben, woraufhin das Urteil und der Steuern einhebende Staat unter Beschuss der Öffentlichkeit gerieten. Monopolisten lernen daraus und schließen unsichtbarere Handelsabkommen mit Staaten, befürchtet Evgeny Morozov.
In Toronto wiederum ist man wenig begeistert von den google-Plänen einer SmartCity mit führerlosen Autos, Müll sammelnden Robotern und permanentem Tracking der Passanten in der dafür „auserwählten“ Zone. Toronto verlangt mehr Transparenz von google, was mit den unzähligen Daten passieren soll – und google zieht sich aus dem Projekt „Sidewalk Lab“ und damit dem öffentlichen Raum zurück.
Barcelona versucht einen eigenen Weg einzuschlagen, indem die digitalen service-Angebote von der Kommune selbst gestellt werden, hat dabei aber große rechtliche Schwierigkeiten, weil google nicht einfach vom „freien“ Markt verbannt werden kann.
Evgeny Morozov sieht Europa derzeit vor der Wahl zwischen einem online-social-credit-system made in China oder privaten App-Entwicklern, die vom Geist eines Sillicon Valley getrieben sind. Die EU sollte einen eigenen Weg gehen. Einen, der nicht davon ausgeht, dass Probleme von Apps gelöst werden können. Öffentlich zur Verfügung gestellten „Lösungen“, wie ein funktionierender öffentliches Verkehrsnetz, sind die besseren Antworten auf Mobilitätsfragen als Apps.
eine europäische “Lösung” ist erforderlich
Wenn die EU das derzeit offene „window of opportunity“ nicht nutzt, wird das schneller als einem lieb sein kann in die Abhängigkeit von dem einen (USA = private Kontrolle) oder anderen (China = staatliche Kontrolle) digitalen Modell führen. Derzeit werden die wunderbar innovativen, technisch ausgetüftelten, mit viel Ausbildung erarbeiteten Ideen aus Europa von anderen aufgekauft. So geschehen bei der neuen facebook-Währung, bei der Europäische Akademiker entscheidend an der Entwicklung mitgewirkt haben, die in Folge allerdings von facebook als Entwickler angestellt und fürstlich bezahlt wurden.
Wer sich die gesamte Rede im Original ansehen möchte, hat dazu Gelegenheit. Was sonst noch alles bei der Stadttagung „Wien Wächst“ der Kommunalabteilung der Arbeiterkammer Wien diskutiert und referiert wurde, kann hier nachgelesen werden.