(first published im Blog von Arbeit & Wirtschaft)
Wer Missstände öffentlich macht und dabei seine ArbeitgeberInnen schlecht aussehen lässt, begibt sich auf dünnes Eis. Dazu braucht es Menschen mit sozialem Mut, Menschen mit ethischem Ungehorsam. Abseits der berühmten Aufdecker wie Julian Assange oder Edward Snowden gibt es weniger auffällige HinweisgeberInnen, deren Informationen von hohem öffentlichem Wert sind – sollte man meinen.
In Frankreich hat sich für Hinweisgebertum, das soziale Missstände anprangert, der Ausdruck „désobéissance éthique“ (=„ethischer Ungehorsam“) etabliert. Denn es stellt sich immer das Problem, an wen sich die AlarmschlägerInnen wenden sollen, wenn doch ihre eigenen Vorgesetzten diejenigen sind, die „Dreck am Stecken“ haben. Verschiedene „Öffentlichkeiten“ stehen den HinweisgeberInnnen zur Verfügung; Behörden, Staatsanwaltschaft oder Medien sind die typischen Ansprechpartner für ethisch Ungehorsame.
Whistleblowing konkret
In Deutschland gibt es immer wieder brisante Aufdecker-Skandale. Die Aufdecker werden jedoch selten als Helden gefeiert. In der Realität wird – im besten Fall – versucht, ihre Erkenntnisse aus der Öffentlichkeit fern zu halten oder – im schlechtesten Fall – ihre Arbeit als Ganzes in Frage gestellt, ihr soziales Umfeld unglaubwürdig gemacht und schlussendlich ihre Psyche nachhaltig geschädigt.
So wurde zB der äußerst erfolgreiche hessische Steuerfahnder, Rudolf Schmenger, seines Amtes enthoben. Schmenger hatte 2001 Ermittlungen bei der Deutschen Bank eingeleitet. Schmenger und vier seiner KollegInnen scheuten nicht davor zurück, die Steuergesetzgebung auch auf „systemerhaltende Unternehmen“ anzuwenden. Eine neue Verordnung, der zufolge „kleine“ Beträge nicht mehr beachtet werden sollten, verhinderte weitere Beweise dafür, dass die Deutsche Bank Steuern hinterziehe. Den SteuerfahnderInnen bescherte ihr Engagement sowohl Interventionen von höchster Seite als auch psychologische Gutachten, die eine „chronische paranoid querulatorische Störung“ attestierten – sie wurden alle versetzt oder entlassen, die Abteilung wurde aufgelöst.
Ein weiteres Beispiel aus Deutschland, das allerdings etwas positivere Zukunftsaussichten bietet, ist das der Altenbetreuerin Brigitte Heinisch, über die in diesem Blog bereits berichtet wurde. Heinisch kritisierte die gesundheitsgefährdenden Bedingungen in dem Pflegeheim, in dem sie angestellt war – vorerst nur intern, nachdem das erfolglos war wendete sie sich an die Gewerkschaft und mit dieser an das Gericht. Sie ging, unterstützt von ver.di, durch sämtliche nationale Gerichtinstanzen und schließlich wurde ihr vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte 2011 recht gegeben: der deutsche Staat hatte ihr Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt.
Whistleblowing rechtlich
Im Journalismus ist der Schutz von HinweisgeberInnen ein besonders heikles Thema. In Island wurde daher im April 2011 ein Gesetz verabschiedet: das Islandic Modern Media Initiative (IMMI). Es gilt als eines der modernsten Gesetze zum HinweisgeberInnen-Schutz in Europa. Bezeichnend, dass es sich bei Island nicht um ein EU-Land handelt.
Innerhalb der EU hat zwar die Artikel-29- Datenschutzgruppe ein Arbeitspapier zu Whistleblowing verfasst, in dem unter anderem festgestellt wurde, dass
bei der Umsetzung eines Verfahrens zur Meldung von Missständen das grundlegende Recht auf den Schutz personenbezogener Daten, sowohl des Hinweisgebers als auch der beschuldigten Person, während des gesamten Meldeverfahren gewährleistet wird.
Doch eine eigene EU-Gesetzgebung dazu gibt es nicht.
In Österreich lässt sich ein gewisser Schutz aus dem Arbeitsverfassungsgesetz ableiten. Und zwar in §37 wo das Recht für ArbeitnehmerInnen festgelegt ist, sich intern mit einer Beschwerde an die ArbeitgeberInnen zu richten und gleichzeitig klar gestellt ist, dass daraus kein Nachteil entstehen darf für die HinweisgeberInnen. Die so genannte „Motivkündigung“ ist somit bei HinweisgeberInnen ausgeschlossen.
Recht haben und Recht bekommen
Es wird allerdings nicht ausreichend sein, sich dem Thema ausschließlich von juristischer Seite zu nähern und nach Gesetzesbeschlüssen zu rufen. Das Beispiel USA zeigt es vor; in den USA gibt es ein Gesetz, dass Hinweisgeber einen besonderen Schutz gewährleisten soll (Sorbanes-Oxley-Act, kurz SOX genannt), doch dürfte dessen Wirksamkeit von den AlarmschlägerInnen wenig vertraut werden. Das liegt möglicher Weise daran, dass das Spionagegesetz aus dem Jahre 1917 zunehmend angewendet wird und damit auch die Todesstrafe für Spionagetätigkeiten verhängt werden kann. Jane Mayer kritisiert in einem Artikel
… it [die Obama-Regierung] has been using the Espionage Act to press criminal charges in five alleged instances of national-security leaks — more such prosecutions than have occurred in all previous administrations combined
Hinweisgeber-Systeme
Das einzige öffentliche Whistleblowing-System in Österreich wurde 2013 von der Korruptionsstaatsanwaltschaft im Justizministerium eingerichtet.
In immer mehr Unternehmen werden – ausgehend von us-amerikanischen Konzernen, die per Gesetz (SOX) dazu verpflichtet sind – Hinweisgeber-Systeme eingeführt. Dazu müssen zwei wesentliche AkteurInnen berücksichtigt werden: Einerseits haben BetriebsrätInnen ein gewichtiges Wort mitzureden. Andererseits ist die österreichische Behörde für Datenschutz, die Datenschutzkommission (DSK) verpflichtet, ein solches innerbetriebliches System zu genehmigen, bevor es eingeführt werden darf.
Welche konkreten Charakteristika ein solches Hinweisgebersystem aufweisen muss, hängt sowohl von der Tätigkeit als auch der Größe und den internationalen Verflechtungen eines Betriebs ab. Jedenfalls aber muss
- die Teilnahme freiwillig sein,
- eine Vertraulichkeit sowohl für die Einmeldenden als auch für die Beschuldigten für die Dauer der Überprüfung gewährleistet werden,
- eine inhaltliche Beschränkung auf tatsächlich unternehmensschädigende und strafrechtlich relevante Meldungen erfolgen,
- die bearbeitende Stelle vom Rest des Konzerns strikt getrennt und
- deren MitarbeiterInnen besonders geschult werden sowie
- die personenbezogenen Daten nach längstens zwei Monaten nach Abschluss des Falles gelöscht werden. (Nähere Infos gibt es in der GPA-djp.)
Die Erfahrung mit Meldesystemen aller Art lehrt allerdings, dass die Einrichtung eines solchen Systems – sei es eine Telefon-Hotline, eine Internet-Plattform oder ein Beschwerdebriefkasten – nichts an der Betriebskultur an sich und dem Umgang miteinander ändert. Die Meldung von Missständen kann immer nur als Ergänzung zum internen Management funktionieren und nicht als Ersatz dafür. Dazu braucht es weitere Voraussetzungen: eine öffentliche Diskussion zu dem Thema und Zivilcourage – und beides kann man nicht kaufen, im Gegensatz zu einer technischen Einrichtung für ein Hinweisgebersystem.
Sehr schlecht, dass Menschen, die Missstände hierzulande aufdecken, so schlecht behandelt werden. Eigentlich unvorstellbar, dass das bei uns stattfindet und das, obwohl wir ein Rechtsstaat sind.
Ein altes JuristInnen-Sprichwort sagt ja: Recht haben und Recht bekommen sind zweierlei. Aber zum Glück gibt es Menschen, die diese psychisch, finanziell und zeitaufwendige Arbeit auf sich nehmen! Dankeschön.