Befunde aus der Praxis des Agiles Arbeitens
ein Beitrag von Eva Angerler
Die Gewerkschaft GPA und die Arbeiterkammer wollten wissen, wie Agiles Arbeiten umgesetzt wird, wie es den Beschäftigten damit geht, welche Verbesserungsmaßnahmen sie sich wünschen und inwieweit Betriebsräte mitgestaltend eingebunden sind. Zur Klärung dieser Fragen wurde das Institut IFES mit einer Studie beauftragt, deren Ergebnisse nun vorliegen. Über 2500 Beschäftigte und Betriebsrät*innen aus der IT-Branche haben Teil genommen.
Agiles Arbeiten ist eine schnelle, flexible und proaktive Arbeitsweise in selbstorganisierten Teams, bei der die Anpassung an Kundenwünsche und Marktanforderungen in Feedbackschleifen erfolgt. Agilität kann – je nach Form der Umsetzung – die Arbeitsorganisation und die Arbeitsbedingungen massiv verändern. Diese Arbeitsform ist besonders im IT-Bereich weit verbreitet.
Studie Agiles Arbeiten in der IT-Branche
Die Ergebnisse der Studie bestätigen, dass agiles Arbeiten längst Realität in der Mehrheit der Betriebe ist (70 %). Unternehmen wollen mit agilen Methoden vor allem Prozesse und Kosten optimieren und die Kundenzufriedenheit erhöhen.
Als Bezugspunkt für agiles Arbeiten gelten die agilen Prinzipien laut agilem Manifest, die 2001 von Pionieren des agilen Arbeitens als kritische Reaktion auf das klassische Projektmanagement verfasst wurden und die Bedeutung der flexiblen, selbstorganisierten Zusammenarbeit der Fachexpert*innen, den Bürokratieabbau und die Zusammenarbeit mit den Kund*innen betonen. Wir wollten wissen, inwieweit diese Prinzipien tatsächlich umgesetzt werden. Die Antworten zeigen einen relativ hohen Umsetzungsgrad, die überwiegende Mehrheit schätzt diese auf über 50 %, ein großer Anteil sogar auf 75 % und einige sogar auf 100 %. Die Abstufungen bei der Bewertung der Umsetzung der Kernprinzipien weisen auf unterschiedliche Praxisformen hin.
Dementsprechend wurde auf die Frage nach dem Einsatz von agilen Methoden eine Vielzahl von Tools aus der agilen Werkzeugkiste genannt, am häufigsten kommen dabei die Methoden Scrum und Kanban vor.
Verbunden mit dem agilen Arbeiten sind beträchtliche Veränderungen in der Arbeitsorganisation und im persönlichen Arbeitsalltag.
Ob der Einsatz agiler Methoden insgesamt eher positiv oder negativ zu sehen ist, sind die Befragten in etwa geteilter Meinung – Licht und Schatten prägen also die Situation der agil Arbeitenden.
Am zufriedensten sind die Beschäftigten mit der „Entscheidungskompetenz als Team“, also das selbstorganisierte Zusammenarbeiten, damit verbunden ist eine hohe Arbeitsmotivation.
Bezahlung und Personalbemessung werden von Beschäftigten und Betriebsrät*innen eher kritisch gesehen.
Agiles Arbeiten ist insbesondere bei jüngeren ArbeitnehmerInnen sehr beliebt, der Wunsch nach selbstbestimmter, hierarchiearmer und sinnstiftender Arbeit ist groß. Probleme (Stress, Konflikte, usw.) tauchen oft erst später auf. Wie die vielen offenen Antworten in der Studie zeigen, beschäftigt das Thema die Befragten sehr stark. Agiles Arbeiten wird einerseits als gute Arbeitsweise gesehen, die zu einer besseren Stimmung im Team beiträgt, andererseits kann es Ursache vielfältiger Probleme werden, wenn es nur halbherzig eingeführt wird.
Zur Unterstützung der agilen Arbeit wünschen sich vier von zehn Beschäftigten klare und nachvollziehbare Regeln und klare Rollenverteilungen in Teams. Dies deutet auf Handlungsbedarf bei der Gestaltung der Rahmenbedingungen hin, um die Arbeitsweise im Sinne der Beschäftigten zu verbessern.
Der Großteil der Betriebsrät*innen ist bei der Umsetzung der agilen Arbeitsweise nicht eingebunden. Dementsprechend gibt es nur relativ selten Regelungen in Betriebsvereinbarungen, die sich explizit auf agile Arbeitsformen beziehen. Das soll sich aber ändern.
Für viele Betriebsrät*innen ist Agiles Arbeiten ein Mitbestimmungsthema.
Viele Betriebsrät*innen wollen daher an der Gestaltung mitwirken und streben passende Regeln an. Ausgehend von den Befunden der Studie wurde im Beirat für Arbeit und Technik (BAT) der Gewerkschaft GPA über Erfahrungen von Betriebsräten mit agilem Arbeiten diskutiert:
Neben dem IT-Bereich ist agiles Arbeiten im Finanzbereich verbreitet.
In einer Versicherung wird Agilität je nach Team unterschiedlich gelebt. Wenn Beschäftigte in mehreren Projekten gleichzeitig arbeiten und zu viele Meetings stattfinden, wird der persönliche Arbeitsalltag zunehmend fremdbestimmt. Der Arbeitsdruck nimmt zu und die Beschäftigten arbeiten während der Meetings, um ihr Arbeitspensum zu bewältigen. Unter solchen Bedingungen kann agiles Arbeiten zu einem Korsett werden, das die Arbeitsbelastung stärker ansteigen lässt als in klassischen Arbeitsformen.
Eine Bank hat sich Agilität auf die Fahnen geschrieben, um Unternehmensstrategien und -prioritäten schnell, gezielt und kostengünstig an ein volatiles Markumfeld anpassen zu können. In der Praxis kommt agiles Arbeiten in einzelnen Teams zum Einsatz – „echte Agilität“ wird vor allem in der IT-Abteilung umgesetzt. Agilität hält aber im Bereich Führung generell Einzug, was eine Kulturdiskussion über die Rolle und Aufgaben von Führungskräften zur Folge hat. Denn Führung muss beim agilen Arbeiten Weisungsmacht abgeben und optimale Rahmenbedingungen für die selbstorganisierte Teamarbeit unterstützen. Das bringt zwar einerseits eine Entlastung der Führungskräfte mit sich, da sie nicht mehr für die direkte Umsetzung verantwortlich sind, verlangt aber andererseits auch Verhaltensänderungen. Diese Entwicklungen setzen Anpassungen interner Organisationsstrukturen und Verhaltensregeln sowie Schulungen voraus. Werden nötige Rollenklärungen nicht vorgenommen, und hierarchische und agile Organisationsformen ohne klare Regeln vermischt, führt das zu Widersprüchen für die Rolle der Führungskräfte.
In einem Produktionsunternehmen gibt es eine indirekte Betroffenheit von agilen Arbeitsweisen, da externe Software-EntwicklerInnen, die Dienstleistungen für das Unternehmen erbringen, agil arbeiten. Das Unternehmen als Kunde muss sich daher auf agile Prozesse an den Schnittstellen zum externen Dienstleister einstellen.
Ein Betriebsrat eines Forschungsunternehmens verfolgt die Strategie, bei der Definition der agilen Rollen anzusetzen, die für alle klar sein sollen. Die Rahmenbedingungen für die Teamzusammenarbeit sollen die Betroffenen idealerweise selbst gestalten können. Die besonderen Risiken agiler Arbeit werden in einer erweiterten Evaluierung des Arbeitsplatzes untersucht, bei der der Betriebsrat eingebunden ist. Damit die Beschäftigten niederschwellig mit dem Betriebsrat in Kontakt kommen und über ihre Situation im Team erzählen können, wurde ein Betriebsrats-Café eingerichtet. Der Betriebsrat hat dabei die Rolle eines Mediators. So lädt er etwa das betreffende Team ein, wenn es Probleme gibt. Das ist dann nicht zuletzt ein Signal an Führungskräfte „Wir schauen genau hin!“
Résumé der BAT-Diskussion:
Ob Agilität mehr Chancen oder Risiken mit sich bringt, hängt immer von den konkreten Maßnahmen und der Unternehmenskultur ab. Der Betriebsrat ist daher gut beraten, sich genau zu informieren, welche agilen Ansätze im Unternehmen zum Einsatz kommen (sollen) und die Beschäftigten wiederholt zu befragen, wie es ihnen damit geht, wo es gut funktioniert und wo weniger und ob eventuell erhöhte Belastungen auftreten. Aufbauend auf den Rückmeldungen der Betroffenen kann der Betriebsrat für Maßnahmen im Sinne guter agiler Arbeit eintreten. Als konkrete Initiative des BAT wurde eine Arbeitsgruppe gebildet, die sich zur Aufgabe gemacht hat, unterstützende Tools für BetriebsrätInnen, die agiles Arbeiten mitgestalten wollen, zu entwickeln.
Zum Weiterlesen:
IFES-Präsentation zur Studie „Agiles Arbeiten in der IT-Branche“ Oktober 2022
GPA-Broschüre “Mobil? Agil? Flexibel? Neue Arbeitsformen zwischen Anspruch und Wirklichkeit” August 2022
BAT-Positionspapier “Agiles Arbeiten unter der Lupe” April 2021