In der soeben erschienenen Broschüre “Allzeit bereit! Ein Blick hinter das Verschwimmen von Arbeit und Freizeit” befassen wir uns mit der Flexibilsierung der Arbeit und der Auflösung bisher gewohnter Strukturen in der Arbeitswelt. Diese Entwicklungen, die auch unter dem Stichwort der Entgrenzung der Arbeit (Kurzübersicht Wikipedia) erfasst werden, haben Konsequenzen für nahezu alle Lebensbereiche von der Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben (Arbeit und Freizeit bzw. Beruf und Familie) bis hin zur Gesundheit der einzelnen ArbeitnehmerInnen – bersonders in jenen Fällen, in denen Freizeit- und Entspannungsphasen zunehmend zurückgedrängt bzw. eingeengt werden.
Neue Formen der Arbeitsorganisation
Vor allem aber setzen sich aufbauend auf neuen Managementansätzen und technisch unterstützt durch erweiterte Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten neue Formen der Arbeitsorganisation durch. Davon sind Arbeitszeitregelungen genauso betroffen wie die vertraglichen Grundlagen der Arbeit (Dienst- und Beschäftigungsverhältnisse), die Möglichkeiten der betrieblichen Mitbestimmung ebenso wie jene der Zusammenarbeit der Beschäftigten.
Flexibilität, das heißt, flexibel zu sein, stellt sowohl eine Anforderung als auch einen Bedarf dar.
Flexibilität, Selbstverantwortung und Selbstbestimmung
Weite Teile der ArbeitnehmerInnenschaft können sich zum Beispiel kaum noch vorstellen, nicht im Rahmen eines Gleitzeitmodells ihre Arbeit zu erbringen. Zur Flexibilität gesellt sich die Selbstverantwortung, die in der zunehmend in Projektform gestalteten Arbeit gefragt ist. Nicht selten lässt sich der Eindruck gewinnen, dass gerade das Übernehmen von Verantwortung für viele Beschäftigte einen besonderen Anreiz darstellt. Daran wird vielfach auch die Erwartung einer Erhöhung von Freiheitsgraden im Arbeitsprozess und eines Ausbrechens aus verknöcherten bürokratisierten, “fordistischen”, Arbeitsmodellen geknüpft.
Selbstbestimmung ist das Thema jener, die dem Motto “Neue Zeiten, immer im Dienst” mit dem Hinweis darauf, dass “Freizeit etwas für Leute [ist], denen die Arbeit keinen Spaß macht, die sich in der Freizeit von der Mühe erholen müssen” – wie Robert Misik kürzlich auf derStandard.at formulierte -, in bester ArbeitskraftunternehmerInnenmanier (wieder ein Wikipedia-Link!) einiges abgewinnen können.
Entgrenzung der Arbeit
Unbestritten ist, dass die Arbeitswelt massiven Änderungen unterliegt – seit jeher und angetrieben durch technische Entwicklungen noch verstärkt. Laptop, Handy, Blackberry und iPhone geben heute sozusagen das Tempo vor. In einigen Branchen mag die umfassende Flexibilisierung und Entgrenzung für einen Teil der Erwerbstätigen ein gangbarer Weg sein und einen attraktiven Arbeits- bzw. Lebensentwurf darstellen – trotz der damit verbundenen Prekaritätsrisiken.
In verschiedener Hinsicht treffen sich diese Tendenzen aber auch sehr gut mit dem Beschäftigungsverständnis von Unternehmen, die Veränderungen in der Organisation der Arbeitsprozesse vorantreiben wollen. Auch hier geht es vordergründig um ein Auflösen starrer Strukturen und Bürokratien, wobei den Belegschaften allerdings selten die Entscheidung über die Umsetzung von Maßnahmen zur Flexibilisierung der Arbeitprozesse obliegt. Dem, was sonst unter Selbstbestimmung gepriesen wird, wird hier ein bestimmter Rahmen vorgegeben. Und was als neue Unternehmenskultur mit Teamarbeit, projektbezogenen Netzwerken und flachen Hierarchien angepriesen wird, dient unternehmensseitig letztlich vor allem einem Zweck: der Einsparung von Personalkosten.
Segen und Fluch der Selbstbestimmung und Verantwortung
Flexible, auf Selbstbestimmung setzende MitarbeiterInnen, die verstärkt Verantwortung übernehmen, kommen da wie gerufen. Das Gefühl, sich einen Großteil der Arbeitszeit selbst einteilen zu können, führt auch zu einem aufgeweichten Umgang mit Arbeitszeitregelungen. Vielfach besteht hier das Risiko, dass die Vorteile, die sich ArbeitnehmerInnen erhoffen, zu ihrem Nachteil werden (z.B. beim Umgang mit Überstunden). Das Gefühl, selbst für Arbeitspakete und Projektschritte verantwortlich zu sein, kann nicht nur Erfolgserlebnisse bringen, sondern fördert auch die Bereitschaft, über das vereinbarte und abgerechnete Ausmaß hinaus zu arbeiten (z.B. am Wochenende).
Doch welche/r MitarbeiterIn kann behaupten, die Übernahme von Verantwortung auch nur annähernd in dem Maße abgegolten zu bekommen, wie dies bei Management und Führungskräften der Fall ist?
„Von den Arbeitnehmern wird verlangt, sich flexibel zu verhalten, offen für kurzfristige Veränderungen zu sein, ständig Risiken einzugehen und weniger abhängig von Regeln und förmlichen Prozeduren zu werden“
– so beschrieb Richard Sennett bereits 1998 in seinem Buch „Der flexible Mensch“ trefflich die neue Arbeitssituation von Beschäftigten.
Arbeitsrechtlicher Rahmen notwendig wie eh und je
Klar ist, dass sich ArbeitnehmerInnen in vielerlei Hinsicht einem neuen Umgang mit Aufgabenstellungen, Arbeits- und Kooperationsprozessen stellen müssen und dies auch tun. Dies bringt unwiderruflich ein verändertes Verständnis von zeitlichen Arrangements mit sich. Inwieweit sich jedoch zeitliche und inhaltliche Selbstbestimmung nicht nur in Form von Anpassungsdruck, sondern auch in Form mehr als existenzsichernder Beschäftigungsverhältnisse für zumindest einen Großteil der Beschäftigten durchsetzen könnten, ist derzeit noch eine Frage mit ungeklärtem Ausgang.
Der Einsatz neuer Technologien alleine stellt nur eine Grundlage für die entsprechenden Entwicklungen dar, die Erweiterung selbstbestimmter Arbeitsmodelle im Sinne der ArbeitnehmerInnen bedarf einer Reihe von weiteren Rahmenbedingungen. Dabei ist zunächst die Gestaltung von Arbeitsbedingungen im arbeitsrechtlichen Rahmen maßgeblich. Darüber hinaus wird am Verständnis der Organisation des Unternehmens gekratzt. In erster Linie ist die Frage der betrieblichen Mitbestimmung zu stellen. Solange Flexibilisierung und die Übernahme von Verantwortung nicht mit einem Mehr an Mitbestimmung und Demokratisierung im Betrieb einhergeht, ist die Selbstbestimmung der MitarbeiterInnen eine vermeintliche und stellt Flexibilisierungsschritte ins Zwielicht.
Zur Gestaltung der “neuen Arbeit” bieten sich nicht nur Betriebsvereinbarungen, sondern auch betriebliche bzw. soziale Audits an. Eine zentrale Rolle kommt hier BetriebsrätInnen und PersonalvertreterInnen zu. Die aktuelle Broschüre bietet sowohl grundlegende Informationen zu den verschiedenen Aspekten und Problemfeldern rund um das Thema Flexibilisierung und Entgrenzung als auch ein Argumentarium, Tipps für konkrete Handlungsansätze sowie speziell zugeschnittene Methoden zur Überprüfung der Situation im eigenen Betrieb.
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